Der Treibgang in der Pferdehaltung

An vielen Ställen sind sogenannte Treibgänge heute üblich geworden.

Manch Stallbetreiber plant einen solchen Gang, um Zeit zu sparen. Die Mitarbeiter oder der Betreiber selbst muss nicht mit jedem Pferd einzeln zur Wiese laufen. Es ist ja auch praktisch, man muss nicht so weit laufen, sondern kann die Pferde vorne im Gang losmachen und ihrem Schicksal überlassen. Pferde über eine längere Strecke zu führen kostet Zeit und in der Pensionspferdehaltung damit auch Geld.

Aber wie geht es den Pferden dabei?

Häufig gibt es in Herden, die regelmäßig einen Treibgang in der Gruppe oder allein passieren müssen, mindestens(!) ein Pferd, dass damit emotional nicht zurecht kommt und in der Folge nicht selten sogenanntes Problemverhalten entwickelt.

Da wird das Pferd vor Betreten des Ganges bereits unruhig, reißt sich los, bedrängt den Menschen o.Ä.

Beginnen wir mit einem kleinen Gedankenexperiment.

Stell dir vor, du bist mit dem Auto unterwegs und biegst links ab in eine Wohnsiedlung. Am Anfang der Straße steht ein großes Schild, dass dir sagt, dass du hier maximal 30km/h schnell fahren darfst. An beiden Straßenseiten parken Autos. Auf der rechten Seite steht in zweiter Reihe ein Umzugswagen, in den mehrere fleißige Helfer emsig schwere Möbel hinein bugsieren. Ein paar Meter weiter siehst du auf der linken Seite Kinder hinter den Autos, die miteinander spielen. Ein Kind malt gerade mit Kreide Hinkelkästchen auf dem Bürgersteig, zwei andere Kinder schießen einen Fußball hin und her.

Aus der Gegenrichtung kommen dir gerade 2 Fahrräder entgegen. Es sind zwei ältere Herrschaften, die langsam hintereinander herfahren, weil sie den Verkehr nicht behindern wollen.

Was tust du?

Gibst du Gummi und steuerst dein Fahrzeug mit 30 km/h durch diese Engstelle?
Es sind hier doch schließlich 30 erlaubt?

Oder bremst du zunächst ab, lässt erst die beiden Fahrradfahrer die Engstelle passieren, um dich dann in Schrittgeschwindigkeit zwischen Umzugswagen und spielenden Kindern durch zu tasten?

Warum entscheidest du dich für die zweite Variante?

Wir Menschen wissen, dass Engstellen gefährlich sein können, sowohl für uns als auch für andere. Unsere Intuition sagt uns im besten Fall: Mach langsam. Auf diese Art schaffen wir es, in einen Baum zu klettern und Kirschen zu pflücken, wir schaffen es, eine Kletterwand hochzuklettern, wir schaffen es, auf einer Leiter in einen Kanal hinabzusteigen, um dort nach dem Rechten zu sehen und wir können Brettspiele spielen, weil wir in der Lage sind, in Engstellen konzentriert und strategisch vorzugehen.

Wie sieht es nun beim Pferd aus?

Pferde sind – auch heute noch! – körperlich und emotional an das Leben in der Steppe angepasst. Sie sind nicht dafür gemacht, in Stresssituationen ihre Körpermaße abzuschätzen und sich durch einen engen Gang zu lavieren.

Aus freien Stücken meiden sie Engstellen.

Heutige Haltungsbedingungen haben aber idR zahlreiche Engstellen. Angefangen von der Box, über kleine Paddocks, die Führanlage oder das Solarium.

Das ändert aber nichts an den natürlichen Instinkten.

Sie werden auch nicht aus Vernunft langsam gehen, wie wir das vielleicht erwarten würden. Sie sind in der Herde, und hier ist es erst mal irrelavant, ob alle Herdenmitglieder auf der gleichen Seite eines Zaunes sind oder nicht.

Wenn du meinen Online Kurs Pferde sicher führen bereits absolviert hast, dann weißt du, dass Zäune für Pferde grundsätzlich keine große Bedeutung haben.

Wenn die Herde das Go gibt, dann geht das Pferd. Ob diesseits oder jenseits des Zauns.
Nicht selten bleiben sie dabei an Zaunpfählen hängen oder überrennen den Menschen.

Das Pferd gerät in einer Engstelle unter Stress. In einer Stresssituation wird das Pferd von seinen Instinkten gesteuert und das Denken ist – wie bei uns auch – eher schwierig.
Sie denken nicht wie wir Menschen, „oh hier ist aber wenig Platz, wir rücken mal näher zusammen“.

Während der menschliche Instinkt sagen würde „langsam, sonst verletzt du dich“, sagt der Instinkt des Pferdes „Raus aus der Engstelle und zwar so schnell wie irgendwie möglich“!

Rangniedrigere Pferde haben hier den gleichen Impuls wie ranghohe, aber zusätzlich das Problem, dass sie neben den Begrenzungen des engen Treibgangs, die eigenen Körpermaße, auch noch die Körpermaße der ranghöheren Pferde abschätzen müssen, um diesen nicht unerlaubt zu nahe zu kommen.

Ein enger Gang ändert nichts an den Individualabständen der Pferde untereinander!

Aber wie soll das rangniedrigere Pferd das hier schaffen? Was ist das kleinere Übel, Pferd X zu nahe kommen oder durch den Zaun gehen? Diese Entscheidung ist nicht immer leicht.

Die Ursache, also das eigentliche Problem liegt nicht am Pferd, sondern am Treibgang.

Oftmals werden bestimmte Verhaltensweisen nach einiger Zeit mit den örtlichen Gegebenheiten verknüpft. Wenn ein Pferd im Treibgang immer Gas gibt, sei es aus Angst oder aus Freude, so wird es diesen Impuls auch haben, wenn es dann doch mal durch den Gang geführt werden soll.

Vielleicht möchte der Einstaller sein Pferd einmal selbst zur Weide führen?
Wenn die Beziehung noch nicht sehr stark ist, kann es hier leicht zu Problemen kommen.

Ein neuer Mitarbeiter fängt im Betrieb an?
Bekommt er die Einweisung, bei welchem Pferd er in welchem Winkel zur Seite springen muss, um zu überleben? Oder lässt man ihn erst mal machen? Er wusste ja schließlich, dass er es hier mit Pferden zu tun haben würde?

Hast du ein Pferd, dass sich beim Führen häufig losreißt? Es macht Sinn, die Abläufe beim Raus- und Reinführen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Was du als Stallbetreiber nun tun kannst?

Selbst wenn die örtlichen Gegebenheiten einen anderen Zugang zur Wiese, den Paddocks o.Ä. nicht zulassen, musst du die Pferde nicht wie die wilden Schweine durch den Gang rasen lassen.

Führe sie hindurch. Das dauert erst mal länger. Aber die Pferde, die Einstaller und auch deine Mitarbeiter werden es dir danken, wenn die Abläufe im Gang mit mehr Sicherheit von statten gehen.

Welche Erfahrung hast du mit dem Treibgang gemacht?

Berichte mir gerne in den Kommentaren davon.