Warum dein Pferd sich losreißt

Ich habe lange überlegt, wie ich meine Arbeit mit dem Pferd nennen soll. Was meine Arbeit ausmacht, was mich ausmacht. Was mir im Umgang mit dem Pferd wichtig ist und was nicht.
Im Austausch mit lieben Kolleginnen erzählte ich also von meiner Arbeit und worauf es mir ankommt, und irgendwer warf immer mal wieder das Wort Achtsamkeit in den Raum.
Mein erster Impuls: Achtsamkeit? Auf keinen Fall, so kann ich es nicht nennen.

Aber warum stört mich dieses Wort überhaupt so?

Achtsamkeit liegt voll im Trend. Ist modern. Hipp. En vogue und up to date. Es gibt Achtsamkeits-Kurse, Bücher über Achtsamkeit und Zeitschriften, die Achtsamkeits-Übungen propagieren. Der Begriff „Achtsamkeit“ ist für mich mit so viel Klischee behaftet, dass ich ihn nicht nutzen mag. Ich bin kein Trendsetter und möchte auch keiner sein.
Ich höre das Wort gefühlt an jeder Ecke. Und das Schlimme daran, viele dieser neumodischen Angebote sind mir viel zu oberflächlich. Und oberflächlich ist für mich das Gegenteil von Achtsamkeit.

Dann habe ich den Tipp bekommen, einfach mal bei meinen Kunden nachzufragen, warum sie überhaupt meine Kunden sind und was ihnen an meiner Arbeit gefällt.
Ich freue mich immer sehr über positive Rückmeldungen meiner Kunden. Dummerweise war es aber nun so, dass der Großteil meiner Kunden als erste Idee zu meinem Training das Wort – Achtung: „Achtsamkeit“ einfiel. Na prima, da war es also wieder.

Ich habe also beschlossen, mich mit diesem Wort anzufreunden. Achtsamkeit und ich.

Ich möchte mein Pferd als Individuum wahrnehmen.
Ich möchte in Gegenwart meines Pferdes entspannen, aber genauso sehr möchte ich, dass auch mein Pferd in meiner Gegenwart entspannen kann.
Um zu erkennen, ob mein Pferd entspannt und mit mir gerne im Hier und Jetzt zusammen ist, muss ich sehr feinfühlig sein, und die kleinen Zeichen meines Pferdes erkennen und richtig deuten.
Ich möchte nicht mein Pferd in irgendeiner Form manipulieren, damit es frei ohne Halfter neben mir herläuft um Außenstehende zu beeindrucken. Ich interessiere mich nicht für Zirkuslektionen und auch nicht für eine Dressur meines Pferdes. Ich möchte, dass mein Pferd wirklich bei mir sein will.

Ich beobachte das Ohrenspiel, die Augenpartie, die Nüstern, das Maul, die Gesichtsmuskulatur, die Kopf- und Halshaltung. Ich schaue nach dem Grad der muskulären Anspannung in Ruhe- und in Bewegungsphasen. Ich beobachte, wie schnell mein Pferd zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit läuft, und in welcher Geschwindigkeit es wieder zurück in die Herde geht. Ich achte darauf, ob es an mir, oder an Leckerchen interessiert ist.
Ich gebe mir Mühe, alle Bewegungen, Geräusche, Gerüche und Energien wahrzunehmen, denen mein Pferd täglich oder auch nur in dem Moment ausgesetzt ist.

Mich interessiert, wie es sich in seiner Freizeit verhält, in der Herde und im Stall, im Umgang mit anderen Menschen und Tieren. Ich möchte wissen, welche Herdenmitglieder es besonders gern hat und ich versuche dafür Sorge zu tragen, dass es mit diesen Pferden besonders viel Zeit verbringen darf.
Ich verlege meine Aktivität mit dem Pferd auf eine Tageszeit, die meinem Pferd angenehm ist, und in der nicht gerade etwas für mein Pferd Wichtiges passiert – zum Beispiel der tägliche Weideauftrieb, das Nachfüllen der Heuraufe oder die Kraftfuttergabe. Ich achte auf eine artgerechte Haltung, auf eine passende Fütterung, bemühe mich um viel Bewegung und möglich wenig Fresspausen.

Ich weiß, dass ich von meinem Pferd noch so viel lernen kann!
Mein Pferd ist immer im Hier und Jetzt, ich noch viel zu oft in Gedanken schon weit voraus.
Ich weiß, dass das Verhalten meines Pferdes niemals bösartig ist, mein Pferd hat für jedes Verhalten einen aus Pferdesicht guten Grund. Ich verurteile weder mein Pferd, noch sein Verhalten, sondern nehme jedes Verhalten als Teil seiner Kommunikation an.

Ich arbeite immer weiter daran, die Welt aus der Sicht meines Pferdes zu sehen.

Nennt man das Achtsamkeit?

Ok.

Dann bin ich ab jetzt dabei.

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